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Die Ambivalenzen der Partizipation – Partizipative Forschung in der Erwachsenenbildung

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das kollektiv

Im Zentrum der Basisbildung stehen bildungsbenachteiligte Gruppen – wie z.B. Migrant_innen, die kaum Zugang zu formaler Bildung hatten – und, wie aktuell im Rahmen der Initiative Erwachsenenbildung vorgesehen, die Idee einer humanistischen, selbstermächtigenden Bildung. Eine Reihe von Initiativen, Fachgruppen und Vereinen setzt sich dafür ein, einerseits die theoretischen Grundlagen weiterzuentwickeln und andererseits diese Erkenntnisse in die Praxis der Basisbildung einzubringen. Die gesellschaftspolitische Relevanz der Basisbildung wird im Rahmen dieser Bemühungen reflektiert und sichtbar gemacht.

Neben dem Ziel der Förderung von ökonomischen und sozialen Anpassungsleistungen bildungsbenachteiligter und formal gering qualifizierter Erwachsener (PPD 2018-2021: 7) will die Basisbildungsarbeit im Rahmen der Initiative Erwachsenenbildung „Weltoffenheit und Bewusstsein für Transkulturalität [ermöglichen] und [...] gesellschaftliche Ausschlussmechanismen und Diskriminierung erkennen sowie kritisch reflektieren [lassen]. Sie fördert die aktive Mitwirkung in der Gesellschaft. Sie ermutigt die Einzelnen, die Welt mitzugestalten und zu verändern, anstatt ‚nur‘ in der Welt zu leben.“ (Fachgruppe Basisbildung 2017: 4)

Diese Prämissen einer gesellschaftspolitisch teilnehmenden Basisbildung, die auf demokratische und kritische, gar selbstkritische Handlungsalternativen fokussiert, führt angesichts der aktuellen Verhältnisse zu einer Reihe von Fragen: Wie können die Anliegen, pädagogische Reflexion und Handlung zu verschränken bzw. dialogisch und wissenskritisch zu unterrichten, in die Praxis umgesetzt werden? Und: Wie können Lehrende und Lernende voneinander lernen? Ist kritische Basisbildungsarbeit in Zeiten immer stärker werdender Sanktionen und Diskriminierungsmechanismen überhaupt denkbar? Aus der Perspektive reflexiver Pädagogik stellt sich die Frage, wie unter diesen Bedingungen ein emanzipatives pädagogisches Verhältnis stattfinden kann, wie es unter anderem in den „Prinzipien und Richtlinien für Basisbildungsangebote“ (Fachgruppe Basisbildung 2017) vorgesehen ist.

Mit diesem Beitrag wollen wir diese Fragen aufgreifen, indem wir uns mit der Rolle partizipativer Forschung für die Basisbildung auseinandersetzen. Konkreten Anlass dazu gibt das Modul „Forschende Basisbildung“[1], das vom Verein das kollektiv im März 2017 als Weiterbildung für Basisbilder_innen angeboten wurde. Ziel des Moduls war es, sich (partizipative) Forschungsmethoden für die Gestaltung der eigenen Praxis in der Basisbildung anzueignen und alternative Handlungsmöglichkeiten durch die Kollektivierung der Wissensproduktion aufzuzeigen.

In diesem Beitrag diskutieren wir in diesem Sinne das Potenzial partizipativer Forschungsmethoden, die kritische Arbeit in der Basisbildung mit Migrant_innen und Refugees weiter zu fördern. Wir besprechen den Prozess des Moduls und reflektieren Praxis, Theorie und Probleme der partizipativen Forschung als Methode in der Basisbildung und in der Wissenschaft.

 

[1] Das Modul „Forschende Basisbildung“ fand im Rahmen des Netzwerkprojekts „Basisbildung mitgestalten“ statt und wurde vom Europäischen Sozialfonds und dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung finanziert.
 

Das Konzept für das Modul „Forschende Basisbildung“

Das Modul „Forschende Basisbildung“ war zeitlich auf drei Tage aufgeteilt. Am ersten und zweiten Tag trafen sich die Teilnehmer_innen mit dem Lehrteam zusammen, um einerseits die theoretischen Bedingungen partizipativer Forschung zu diskutieren und andererseits die Praxis eines partizipativen Projekts zu erproben. Der dritte Tag des Moduls erfolgte nach der Selbstlernphase und fokussierte auf die Projekt-Konzepte, die die teilnehmenden Basisbilder_innen in ihren Kursen ausgearbeitet hatten.

Die theoretischen Bedingungen partizipativer Forschung – Fragestellungen, Rolle der Sozialwissenschaften, Inhalte der partizipativen Forschung und Kritik daran – waren auf die drei Tage des Moduls aufgeteilt und werden in den hier folgenden Kapiteln ausführlich diskutiert. Das bedeutet, dass die Struktur des Moduls abwechselnd aus theoretischen Inputs und Praxisbeispielen/Erhebungsmethoden bestand.

Um die Praxis der partizipativen Forschung zu erproben, sind wir im Modul „Forschende Basisbildung“ am ersten Tag auf die Methoden und Paradigmen der Sozialwissenschaft eingegangen. Mittels der bereits im Vorfeld durch das Lehrteam überlegten Forschungsfrage „Welche Erwartungen haben wir an dem Modul?“ haben sich die teilnehmenden Basisbildner_innen in zwei Methoden-Gruppen geteilt. Die erste Gruppe hat mit quantitativen Interviews versucht, Antworten auf die Forschungsfrage zu formulieren. Die zweite Gruppe hat dieselbe Forschungsfrage mit qualitativen Interviews zu beantworten versucht. Die Interviews von beiden Gruppen wurden parallel dazu von Teilnehmer_innen beobachtet. Die beobachtenden Teilnehmer_innen unterstützten im Anschluss an die Interviews die Methodengruppen bei der Besprechung der Verhandlungsprozesse: Wie wurden die Fragen für die methodischen Instrumente (Fragebogen und Leitfaden) entschieden? Wie wurde die soziale Situation der Interviews erlebt? Wie war die Situation, bei den Befragungen beobachtet zu werden? Die Reflexion über die Erlebnisse mündete in einer Auseinandersetzung mit den Methodendifferenzen wie auch in einer Methodenkritik.

Am zweiten Tag folgte die Auswertung der transkribierten qualitativen Ergebnisse einerseits und der quantitativ erfassten Daten andererseits. Wir bildeten daraufhin Interpretationsgruppen, um Lesarten zu entwickeln und die Abstraktion– Konstruktionen zweiter Ordnung – der Interviews zu ermöglichen. Beispiele aus der partizipativen Forschung wurden daraufhin vorgestellt, um den Umgang mit den Ergebnissen zur Diskussion zu stellen. Der zweite Tag wurde zudem dazu genutzt, Konzepte für die eigene Lehrpraxis zu entwerfen: Was wäre möglich aufzugreifen? Wie kann in einer Gruppe eine Forschungsfrage entstehen? Welche Methoden unterstützen Basisbildner_innen darin, in Gruppen gemeinsame Fragen zu formulieren?

Die ersten zwei Tage des Moduls endeten mit dem Beginn der Selbstlernphase: Konzepte, die in den Modulgruppen besprochen wurden, konnten in dieser Phase weiter ausgearbeitet bzw. umgesetzt werden. Im Anschluss wurden am dritten Tag des Moduls je nach Input die Erfahrungen der Teilnehmer_innen mit partizipativer Forschung in der Unterrichtssituation oder die weiterentwickelten Konzepte besprochen. Den Abschluss des Moduls bildete die Frage, welche Handlungen als Ergebnis der Forschung unternommen werden können. Dabei ging es um das Potenzial für „Veränderungen“, das ein wesentliches Merkmal partizipativer Forschung ist.

 

1. Das umkämpfte Recht auf Forschung für Alle

Die Arbeit mit Migrant_innen und Refugees ist bedeutend, spannend und mit Herausforderungen verbunden. Das pädagogische Verhältnis in der Basisbildung ist jedoch strukturell und im Klassenkollektiv von ungleichen sozialen Machtverhältnissen durchkreuzt. Die beteiligten Lehrenden und Lernenden begegnen sich aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Machtpositionen heraus. Gleichzeitig wird Basisbildung von einer Migrationspolitik umrahmt, die das Erlernen der hegemonialen Sprache und vermeintlicher europäischer, demokratischer Werte als Zwang konzipiert und erwachsene Migrant_innen und Refugees infantilisiert. Diese Rahmenbedingungen gestalten das Feld der Basisbildung wesentlich mit und unterstützen paternalistisches und diskriminierendes Wissen. Welche Mittel stehen dem humanistischen und selbstemanzipativen Anliegen der Basisbildung zu Verfügung, um dieser Wissensproduktion gegenzusteuern?

Arjun Appadurai (2006) geht davon aus, dass Forschung ein Recht und dass die Möglichkeit, selbst Wissen zu generieren, eine Bedingung für die Teilhabe an demokratische Gesellschaften ist. Parallel dazu rechnet er damit, dass 50% der Weltbevölkerung „außerhalb des Wissensspiels“ (ebd.: 168) verortet sind. Für Lehrende, die sich einer (selbst)kritischen Pädagogik verschrieben haben, stellt sich aus dieser Perspektive die Frage nach bestreitbaren Wegen zu einer Wissensproduktion mit den Teilnehmer_innen in der Basisbildung, die zweifelsohne zu diesen 50% der Weltbevölkerung gehören. Appadurai´s Forderung von Forschung als Recht (vgl. ebd.) auch für diese besagten 50% schließen wir uns als Basisbildner_innen an.

Ausgehend von diesem Verständnis von Forschung als das Vermögen, die Horizonte des eigenen Wissens hinsichtlich einer Aufgabe, eines Ziels oder eines Strebens systematisch zu erweitern (vgl. ebd.: 176), fordern wir auch für Lernende und Lehrende in der Basisbildung das Recht auf Forschung und somit auf einen Rahmen für kollektive und systematische Wissensproduktion ein. Die Konzeption und Durchführung des Moduls „Forschende Basisbildung“ ist ein Ergebnis dieser Forderung: Ein Schritt auf der Suche nach Ansätzen und Methoden, die in unserer Bildungsarbeit mit erwachsenen Migrant_innen herangezogen werden konnten, um gemeinsam die Welt mitzugestalten und zu verändern.

Aufgrund der spezifischen Lebenssituationen – etwa durch Gewalterfahrungen in den Herkunftsorten und/oder auf der Flucht wie auch durch massive existenzielle Unsicherheit in Österreich und der Lernbiografien der Teilnehmer_innen – meistens kaum Zugang zu formaler Bildung und damit zu Schriftsprache und systematisiertem mathematischen und digitalen Wissen – befinden sich Lehrende und Lernende in der Basisbildung stets mit (methodischen) Herausforderungen konfrontiert. Wenn es in der Basisbildung nicht um die Vermittlung von „objektivem“, sondern um die Er- oder Bearbeitung von relevantem Wissen geht und wenn es dabei um die Erweiterung der Handlungsoptionen für bildungsbenachteiligte Menschen geht – und wir wissen, dass Bildungsbenachteiligung mit vielfältigen Diskriminierungsprozessen wechselseitig verschränkt und in diesen eingebettet ist –, bietet sich eine Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten partizipativer Forschung als Lehr- und Lernmethode von relevantem und kritischem Wissen an. Daher wurde im Projekt eine Verknüpfung zwischen Basisbildung und partizipative Forschung hergestellt, eine Verknüpfung, die den Rahmen dieses Beitrags bildet.

Der Schritt der Aneignung und Aufarbeitung von Methoden der partizipativen Forschung war jedoch erst durch die langjährige kritische Praxis im Feld der Sprachbildung und Forschung als Migrant_innen und mit Migrant_innen möglich. Praxis wird in das kollektiv als Aktion und Reflexion verstanden. Von hier aus und eingebettet in ein Kollektiv entwerfen wir Fragen, die uns zu theoretischen Räumen führen. Hier bewegen wir uns suchend, hinterfragend, lernend. Hier werden Ansätze und Theorien weitergedacht, verarbeitet, verschränkt, entfaltet, in ein Verhältnis zur Erfahrung gebracht.

Die Suche und die Beschäftigung mit Forschung, die daraus entstand, schreibt sich ebenfalls in eine lange Geschichte in unseren Verein (ursprünglich als maiz und seit 2015 als das kollektiv) ein, bei der auf unterschiedliche Weisen Möglichkeiten angestrebt wurden und werden, sich in Bereiche der hegemonialen Wissensproduktion einzumischen, Räume zu erkämpfen und dort, wo es scheinbar keine Räume gibt, im Bewusstsein über die Gefahr der Vereinnahmung und der Konflikte, die so eine Einmischung in sich birgt, und mit der Intention, Brüche sichtbar zu machen und zu erzeugen, Impulse für Verschiebungen zu setzen, Veränderung herbei zu führen und dabei auch uns selbst zu hinterfragen.

 

2. Partizipation als Methode

Partizipative Forschung greift auf ein theoretisches Konzept zurück, das aus der intensiven Kritik an der hegemonialen Wissensproduktion und unhinterfragten Machtverhältnissen entstanden ist. Durch den Schwerpunkt auf die Forschungsarbeit mit unterschiedlichen teilnehmenden Gruppen wurde partizipative Forschung zu einem Mittel für locals – wie ambivalent diese Bezeichnung auch sein mag – bzw. für Akteur_innen, die bereits in politische Prozesse involviert sind und damit einen starken Zugang/wenig Distanz zum Feld und zu weiteren Akteur_innen haben. Das Fokussieren der Aktionsforschung, auf „unsichtbare“ oder „naturalisierte“ Machtverhältnisse macht sie zudem nicht nur für die Basisbildung relevant, sondern war schon seit je für viele politische Projekte von großer Bedeutung. Dazu zählen vor allem die feministische Kritik, die Kritische Pädagogik wie auch die Sozialgeographie und Entwicklungsforschung.

Action research aims to bring together theory, method, and practice as people work collaboratively towards practical outcomes and new forms of understanding. At its core, action research is about challenging and unsettling entrenched and sometimes invisible power arrangements and mechanisms that are enacted in everyday relationships, organizational and economic structures, cultural and institutional practices, large and small (Reason/Bradbury 2008; c.f. Frisby/Maguire/Reid 2009: 13)

Partizipative Forschung (Unger 2014) – auch Aktionsforschung[2] genannt – ist ein Forschungszugang, der Methoden der Sozialwissenschaften mit gesellschaftskritischem Anspruch verbindet und auf soziale Veränderung im Lokalen bzw. in den teilnehmenden Gruppen setzt. Die Fachbezeichnungen variieren: Viele Forscher_innen sprechen von partizipativer Forschung oder partizipativer Aktionsforschung (Collins 2011; Hague/Thiara/Turner 2011; Khan/Bawani/Aziz 2013), andere von Kritischer Aktionsforschung (Carpenter/Cooper 2009). Gemeinsam haben die unterschiedlichen Bezeichnungen das Interesse an der Überbrückung von Hierarchien in der Wissensproduktion und in der wissenschaftlichen Praxis.

Yoland Wadsworth (1998) geht vor allem auf drei hierarchisierte Bedeutungspaare ein: Die Hierarchien zwischen Forschung und Praxis, die Hierarchien zwischen „Forschenden“ und „Beforschten“ und die Hierarchien zwischen Teilnehmer_innen und weiteren Akteur_innen aufgrund der Frage, wer von einem Forschungsprojekt profitieren darf oder kann. Der Umgang der partizipativen Forschung mit diesen Fragen löst bei vielen Forscher_innen eine Reihe von emanzipativen Versprechen durch Forschung aus. Partizipative Forschung bedeutet auch deshalb für viele Praktiker_innen, die Veränderungen innerhalb der traditionellen empirischen Sozialforschung voranzutreiben, „viable, vital alternatives to the exclusionary domains of academic research“ (Cahill 2007: 269)

Die Skepsis gegenüber einer „imperialen“ Sozialforschung fügt sich in die umfassende Kritik an der Rolle der Sozialwissenschaften in der Gesellschaft. Martin Nicolaus (1968) bewirkte mit seiner Rede, bei der er die Bezeichnung „Fat-Cat Sociology“ einführte, dass eine Reihe von Bewegungen innerhalb der Sozialwissenschaften sich mit seiner Kritik identifizierten und die Anliegen einer kritischen selbstreflexiven Wissensproduktion forcierten:

The corporate rulers of this society would not be spending as much money as they do for knowledge, if knowledge did not confer power. So far, sociologists have been schlepping this knowledge that confers power along a one-way chain, taking knowledge from the people, giving knowledge to the rulers. (ebd.)

Unter anderem gilt die Kritik, die Nicolaus hier formuliert, auch dem Objektivitätsaxiom und Positivismus der traditionellen überwiegend männlichen Sozialforschung. Aufgrund der Rolle, die Migration in den Problematisierungen (Foucault 1983b) der Gesellschaft spielt, sind diese Überlegungen für die Forschung „über“ Migrant_innen zentral. Eine Reihe von Analysen hinterfragt beispielsweise den große Beitrag der Forschung bei der politischen Legitimierung des Konzepts des „Migrationsmanagements“[3]. (Perchinig 2003; Georgi 2009; Georgi/Wagner 2009) Partizipative Forschung ist demnach eine Konsequenz der Kritik an der Rolle der Sozialwissenschaften in der Gesellschaft einerseits und an der Hierarchisierung innerhalb der akademischen Wissensproduktion andererseits. Damit ist sie für eine Migrant_innen-Organisation wie das kollektiv besonders relevant. Im Rahmen des Moduls „Forschende Basisbildung“ – siehe Abb. 1 – haben wir versucht, eine Verschränkung der unterschiedlichen Aktionsfelder vorzunehmen.

 

Ausgehend davon, dass das Modul „Forschende Basisbildung“ für Lehrende in der Basisbildung gestaltet wurde, schien uns zentral, die Kritik an bestimmten Forschungsansätzen und ihren Einfluss auf (politische) Entscheidungen und ihr Einwirken auf Diskurse für die Teilnehmer_innen des Moduls zugängig zu machen. Dabei stellen wir keineswegs den Anspruch, Wissenschaftler_innen „auszubilden“, sondern vielmehr die unterschiedlichen Voraussetzungen der Teilnehmenden ernst zu nehmen und ihnen möglicherweise erste Berührungspunkte mit der Thematik zu ermöglichen.

 

Abb. 1: Diskussion mit den TN über die Ziele der „Forschende Basisbildung“ (Quelle: Modul „Forschende Basisbildung“, das kollektiv)

ziele_des_projektes


Einleitend wurde ein Überblick über wissenschaftliche Paradigmen, empirische Sozialforschung und empirische Methoden (siehe als Beispiel Abb. 2 und Abb. 3) angeboten, wobei der Schwerpunkt auf Unterscheidungen zwischen qualitativer und quantitativer Forschung gelegt wurde. Die Teilnehmenden erhielten daher zu Beginn die Möglichkeit, selbst diese Differenzen aufzuspüren, indem sie beide methodische Zugänge auf das Modul angewendet haben: ein Fragebogen mit geschlossenen Fragen zu ihren Erwartungen an das Modul und ein Interviewleitfaden, dem ebenfalls die Erwartungen an das Modul zugrunde lagen. Die Vortragenden standen dabei beratend zur Verfügung und moderierten die Reflexion der Interviewdurchführung ausgehend von den Wahrnehmungen der Teilnehmer_innen, die die Rolle der Beobachtenden bei der Durchführung des Interviews übernahmen.
 

Abb. 2: Unterschiede zwischen sozialwissenschaftliche Methoden (Quelle: Modul „Forschende Basisbildung“, das kollektiv)
befragung_&_beobachtung

Abb. 3: Forschungsprozesse im Vergleich (Quelle: Modul „Forschende Basisbildung“, das kollektiv)

forschungsprozesse_im_vergleich

Während die Fragebögen von einer mitwirkenden Kollegin ausgewertet und die Ergebnisse am Folgetag gemeinsam in der Gruppe diskutiert wurden, wurden die transkribierten Interviewpassagen nach einem Input zu Datenanalyse, vor allem in Bezug auf die Grundlagen sozialwissenschaftlicher Hermeneutik und Grounded Theory, gemeinsam analysiert. Anhand dieser Kombination von Hintergründen, Methoden und Anwendung konnten die Teilnehmenden selbst ihren Blick auf Forschungsprozesse und ihre Perspektivenabhängigkeit schärfen und experimentell in die Analyse eintauchen. Inputs und Beispiele sollten dazu beitragen, dass die scheinbaren Grenzen zwischen den Kategorien Theorie und Praxis zumindest ansatzweise verschoben werden können.

 

 

[2] Die Begriffe „partizipative Forschung“ und „Aktionsforschung“ werden hier synonym verwendet, obwohl in der Literatur häufig differenziert wird. Hella von Unger (2014: 3) geht davon aus, dass mit dem Begriff „partizipative Forschung“ eine Abgrenzung zum aktivistischen Charakter der Aktionsforschung der 1970er Jahren stattgefunden hat. Statt auf „Aktion“ setze partizipative Forschung den Schwerpunkt auf das Element der Beteiligung und grenze sich so vom Vorwurf des Aktionismus bzw. Aktivismus ab. „Partizipative Forschung ist eine engagierte Forschung, die die Möglichkeiten der partnerschaftlichen Zusammenarbeit und empirischen Forschung nutzt, um die sozialen, politischen und organisationalen Kontexte, in die sie eingebettet ist, kritisch zu reflektieren und aktiv zu beeinflussen.“ (ebd.) Beide Bezeichnungen bzw. Zugänge sind jedoch für die Basisbildung relevant, weshalb sie hier synonym verwendet werden.

[3] Migrationsmanagement ist die „moderne“ Antwort auf die Erkenntnis, dass Migration trotz Kontrollen, Grenzziehungen und bürokratischen Hindernissen stattfindet: „Das Ziel von Migrationsmanagement ist nicht, Migration zu stoppen, sondern Migrant_innen nach bestimmten Kriterien und Bedingungen zu rekrutieren: […] Im Gegensatz zu nationalistischen Bewegungen und Diskursen schlägt das Migrationsmanagement vor, Migration proaktiv zu organisieren und die Kontrolle zu verfestigen, um vor allem die wirtschaftlich oder gesellschaftlich „interessanteren“ Migrant_innen in den globalen Norden zu lassen.“ (Gouma 2017: 165f.)

 

 

3. Warum Aktionsforschung in einer Migrant_innen-Selbstorganisation?

Partizipative Forschung ist ein Wissenszugang, der gesellschaftliche Praxis mit theoretischem Wissen verbindet und auf soziale Veränderung im Lokalen bzw. für die teilnehmenden Gruppen setzt. Im deutschsprachigen wissenschaftlichen Feld sind partizipative Untersuchungen relativ selten: Es geht einerseits darum, dass es zu wenig Erfahrungswissen über Partizipation in der Forschung an sich gibt. Im stark hierarchisierten Feld der Academia sind zudem partizipative Zugänge eher „exotische“ Prozesse. Andererseits widerspricht der shifting Ground, auf dem partizipative Forschung aufbaut, dem quantitativen wie auch technokratischen Wunsch nach stark kontrollierten Verfahren. Zudem hat das wissenschaftliche Feld nicht selbstverständlich Zugang zu allen sozialen Gruppen bzw. ihr Vertrauen. Migrant_innen-Organisationen oder lokale Akteur_innen haben indes erhebliches Wissen, Netzwerke wie auch Strukturen, die partizipative Forschung sinnvoll machen. Partizipative Forschung erfordert also nicht nur theoretische und methodische Innovationen, sondern auch Formen der Organisation und Netzwerke.

Dieser Argumentation folgend, würden wir richtig in der Annahme liegen, dass das kollektiv als Selbstorganisation von Migrant_innen, die den Anspruch erhebt, herrschafts- und gesellschaftskritische Bildungsarbeit zu gestalten, die passenden Rahmenbedingungen für partizipative Forschungsprozesse bieten würde. Da jedoch Basisbildung im politischen Spannungsfeld des neoliberalen Imperativs des „lebenslangen Lernens“ und der „Festung Europa“ stattfindet, ist eine Auseinandersetzung mit den Ambivalenzen zwischen Partizipation und hegemonialer Praxis unseres Erachtens unausweichlich. Denn wenn Basisbildungsprojekte als Raum für Interventionen gestaltet werden sollen, der nicht im Sinne einer vermeintlich partizipatorischen Agenda, die letztendlich gegebene hegemoniale Verhältnisse verfestigen, wenn Basisbildungsprojekte abseits von paternalistischen und antimigrantischen Politiken selbstermächtigende Konzepte für lokale Akteur_innen generieren wollen, dann müssen sich die Akteur_innen fragen, wie gemeinsam zu arbeiten, um problematische Verhältnisse aufzugreifen und Aktionen zu setzen, die die Situation der Teilnehmer_innen der Basisbildungskurse verbessern. Inwiefern auf der Suche nach Antworten auf diese Frage auf partizipative Forschungsansätze produktiv zurückgegriffen werden kann, bildet die zentrale Beschäftigung im diesem Vorhaben.

Da es deutlich war, dass ein partizipativer Forschungsprozess nicht vollständig mit einer bereits existierenden und bereits etablierten Gruppe in einem Kurssetting durchgeführt werden kann (vor allem aufgrund der unterschiedlichen Interessenslagen und des unterschiedlichen Informationsstandes der Teilnehmer_innen in Hinblick auf die beabsichtigte Forschung), sahen wir zwei Möglichkeiten des Einsatzes partizipativer Methoden: als Selbstreflexionsinstrumente hisichtlich der eigenen Praxis oder als Methoden, die ein Forschungsprozess im Rahmen des Unterrichts, indem die Teilnehmenden den Foschungsprozess gestalten. Parizipative Methoden als Stütze pädagogischer Reflexivität anzuwenden, erschein uns legitim und im Sinne der Professionalisierung von Basisbildungslehrenden durchaus wünschenswert. Nicht zuletzt aufgrund der Beschäftigung im Verein im Rahmen eines weiteren Projektes, entschieden wir uns allerdings für die zweite Alternative, im Bewusstsein darüber, dass beide Ansätze in einander verschränkt sind und radikale (Selbst-)Reflexion als Bestandteil des Prozesses begriffen werden muss.

Unser Konzept sah vor, dass wir die Praxis der partizipativen Forschung mit Teilnehmer_innen des Moduls „Forschende Basisbildung“ erproben, damit sie in der Selbstlernphase (zwischen den beiden Workshopterminen) die Forschungsmethoden in der eigenen Basisbildungspraxis gemeinsam mit den Teilnehmer_innen von Basisbildungskursen einsetzen konnten.

 

3.1. Beispiele und Differenzierungen in der partizipativen Forschung

Im Modul „Forschende Basisbildung“ haben wir uns sowohl mit theoretischen als auch mit praktischen Zugängen in der partizipativen Forschung auseinandergesetzt. In diesem Sinne haben wir verschiedene Aktionsforschungsbeispiele (siehe Abb. 4) zu Diskussion gestellt.

Abb. 4: Projekt „AfroLebenVoice“ (Quelle: Modul „Forschende Basisbildung“, das kollektiv)

Afro_leben_voice

AfroLebenVoice ist ein spannendes Beispiel der Aktionsforschung, das soziale Veränderungen sowohl innerhalb der Community als auch bei den gesellschaftlichen Institutionen angestrebt hat: „[...] nach innen: Uns war es wichtig, einen respektvollen und konstruktiven Austausch untereinander zum Thema Diskriminierung und Quellen der Kraft zu ermöglichen. Wir wollten die Ressourcen, Kompetenzen sowie das Wissen der Beteiligten aktivieren und stärken.“ (Deutsche AIDS-Hilfe 2013) Und: „[…] nach außen: Mit den Projektergebnissen wollen wir die breite Öffentlichkeit für die Lebensrealitäten der Beteiligten sensibilisieren und so dazu beitragen, die Diskriminierung von Migrantinnen und Migranten in Deutschland abzubauen.“ (ebd.)

Die Unterschiede zwischen partizipatorischen Projekten sind vielfältig. Im Rahmen des Moduls „Forschende Basisbildung“ haben wir die Linien der Differenzierung angesprochen und vor allem auf den Einfluss der Wissenschaft und auf die aktivistischen Inhalte fokussiert. Nach Glenda Garelli und Martina Tazzioli hängt z.B. der Unterschied zwischen Aktionsforschung und Militanten Untersuchungen mit der Vereinnahmung des Begriffs „Aktionsforschung“ in der akademischen Welt zusammen. Während die Aktionsforschung einst als marginalisierte Forschungsmethode startete und sich dann mehr und mehr zu einer Alternative für viele Forscher_innen entwickelte, bleiben die Militanten Untersuchungen weiterhin stärker aktivistischen Kontexten verbunden und sind in akademischen Zusammenhängen weniger verbreitet. (vgl. Gouma 2017: 119) Auch der Begriff der „Community Based Participatory Research“ (CBPR) wurde im Modul „Forschende Basisbildung“ diskutiert. Entstanden aus ähnlichen Zusammenhängen wie die Aktionsforschung fand CBPR breite Anwendung in bestimmten Themenfelder z. B. vor allem im medizinischen Präventionsbereich.

3.2. Partizipative Forschung als soziale Bewegung in der kritischen Pädagogik

Abgesehen von den verschiedenen Richtungen innerhalb der Aktionsforschung wissen wir, dass das Konzept seinen Ausgang im Zusammenhang mit pädagogischen Prozessen nimmt. Ursprünglich wurde daher die partizipative Forschung als „Lehrer-Forschung“ (Newman 2000) bekannt. Die Verbindung von Aktionsforschung und Kritischer Pädagogik zeichnete sich auch deshalb schon früh ab. Denn Pädagogische Prozesse bedeuten stets politische Prozesse (Denzin 2010: 301), wie auch in den aktuellen Verhältnissen deutlich wird.

Durch das „Integrationsimperativ“ und die politischen Konflikte innerhalb der aktuellen Migrationsgesellschaft sind „Sprachkurse“ wie auch „Basisbildungskurse“ für Migrant_innen stark politisierte Konzepte. In diesem Zusammenhang werden sie nicht nur zu einem Angebot des Kompetenzerwerbs, sondern auch zu einem Angebot der Positionierung in der Gesellschaft, auch wenn dies nicht expliziert wird. Bildung geht somit einher mit einer “Subjektivierung” ihrer Adressat_innen/Teilnehmer_innen.
Diese werden durch institutionelle und pädagogische Adressierung als bestimmte Subjekte angesehen, angesprochen und angerufen. In diesem Sinne sprechen wir von „Subjektivierung durch Bildung“. Diese ist ambivalent, denn sie kann Menschen auf bestimmte Subjekt-Positionen fixieren, indem sie z.B. Menschen infantilisiert, kulturalisiert, exotisiert oder idealisiert. Bildung kann aber auch durch Wissenszuwachs und Wissensproduktion dazu beitragen, dass Subjekte ihr Wissen, ihre Handlungsressourcen und ihre Handlungsfähigkeit reflektieren, erweitern und kritisch einsetzen können. (vgl. maiz 2014)

Die historische und konzeptuelle Bedeutung der Aktionsforschung für die Basisbildung wurde konzeptuell für das Modul „Forschende Basisbildung“ ausgearbeitet. Denn die Aktionsforschung setzte sich als Methode der kritischen Wissensproduktion in der Erwachsenenbildung durch. (Somekh/Zeichner 2009; Atweh/Kemmis/Weeks 1998; Carr/Kemmis 1986) Obwohl Paulo Freire (1970) selbst seine Arbeit nicht als Aktionsforschung bezeichnet hat, sind seine Positionen eng mit der Entwicklung der partizipativen Forschung verbunden. Dabei geht es vor allem um Freire’s Konzept consientização. (Cahill 2007) Er fokussierte auf das Bewusstwerden des eigenen Handelns und der strukturellen Bedingungen: „[Freire] transforms the notion of research from a datagathering strategy into a post-formal, consciousness raising, transforming pedagogical technique.“ (Kincheloe 1993: 177) Freire organisierte zudem gemeinsam mit lokalen Akteur_innen im Rahmen von Alphabetisierungskursen „thematische Forschungsprojekte” (Greenwood/Levin 1998)

Seine ideologische Arbeit über soziale Veränderung durch die kollektive Praxis jener, die unterdrückt werden, sowie seine Methoden und Interventionen bilden eine Basis für viele Akteur_innen in der Aktionsforschung. Dabei geht es um den dialogischen Ansatz, der gemeinsames Forschen als Lernprozess für alle Beteiligten betrachtet. […] In Orientierung an Freire schärfte die Aktionsforschung ihre Auseinandersetzung mit der Frage der sozialen Gerechtigkeit. (Gouma 2017: 121)

Denn das Ziel partizipativer Forschung ist, im Gegensatz zu anderen Ansätzen, nicht die Realität zu beschreiben, sondern sie zu verändern. (Pratt 2000) Die theoretische Auseinandersetzung in der Aktionsforschung beschäftigt sich insgesamt mit der Frage, wie kann Forschung mit sozialer Veränderung verknüpft werden. Oder wie Kurt Lewin (1946: 39) es formulierte, geht es bei Aktionsforschung um „more precise theories of social change“. Zu den inhärenten Zielen der Aktionsforschung zählt auch, das Wissen der Teilnehmer_innen zu legitimieren. Das trifft vor allem für Projekte zu, die sich mit „silenced groups“ auseinandersetzen: „Action research affirms local people as knowledgeable actors and focuses on empowering marginalized groups to take action to transform their lives – including both women and children.” (Hague/Thiara/Turner 2011: 553) Der Forschungsprozess bietet so einen Rahmen, das Wissen, das darin mitgeteilt wird, in weiteren Prozessen der Vermittlung zu legitimieren. (Fals-Borda 1991). (vgl. Gouma 2017: 120ff.)

In der Arbeit mit Migrant_innen gehen die Legitimierungsprozesse migrantischen Wissens mit der Positionierung der Subjekte, die Wissen produzieren – in diesem Fall eine Positionierung, die auf soziostruktureller, politischer aber auch epistemischer Ebene als „unterlegen“ (Kaloianov, 2017: 152) bezeichnet werden kann – einher. Migrant_innen verfügen über umfangreiches Wissen, das nicht zuletzt mit der eigenen Biographie eng verknüpft ist: „[…] people – especially those who have experienced historic oppression – hold deep knowledge about their lives and experiences, and should help shape the questions, frame the interpretations‘ of research […]“ (Torre/Fine 2006: 458). Gerade in den „alltäglichen Handlungszusammenhängen” schöpft nach Radostin Kaloianov (2017: 149) migrantische Kritik ihre Stärke. „Nichts fundiert kritisches Denken und kritische Aktivität stärker und verlässlicher als die Normalität des Lebens, wenn einem/einer diese Normalität versagt bleibt.“ (ebd.)

Nicht zuletzt erscheint uns daher die Frage plausibel, ob partizipative Forschung, bei der Migrant_innen als die Schaffenden und Gestaltenden auftreten, für das Aufkeimen und Entwerfen von migrantischer Kritik, die sich auch theoretisch artikuliert und wie sie Kaloianov (2017) beschreibt, methodologisch dienlich sein kann.

Kritische Theorie von unten zieht es in die Gegenrichtung: weg vom Prüfen als Praxis und von Exzellenz als „stake“ kritischer Theorie und hin zur Artikulation verdeckter und verschwiegener Dimensionen der Existenz unterdrückter Gruppen. […] Kritische Theorien von unten versuchen, bestehende Machtverhältnisse auf dem Kopf zu stellen („turn upside down“, dazu Scott 1990) und unternehmen diesen Versuch „wider Erwarten“. Das „Auf-den-Kopf-Stellen“ und das „wider Erwarten“ sind jene Momente, die kritischer Theorie von unten in einem besonderen Ausmaß Intensität als Praxis verleihen.“ (Kaloianov 2017: 153)

 

4. Aktionsforschung als dynamisches methodologisches Konzept

Aktionsforschung ist ein dynamisches methodologisches Konzept, das durch die unterschiedlichen Teilnehmer_innen und Anliegen weiterentwickelt wird. Je nach ideologischer Verortung wird jedoch der Umstand, dass Aktionsforschung den Forschungsprozess nicht rigoros kontrolliert, sondern darauf reagiert und sich verändert, als Vor- oder Nachteil bewertet. (Collins 2011) Für das Modul „Forschende Basisbildung“ einigten wir uns darauf, dass wir, obwohl „[t]here is no one ‘right’ way of doing action research, of being a teacher researcher, of engaging in critical reflection“ (Newman 2000), eine Strukturierung vorschlagen, um die Teilnehmenden zu unterstützen. Dafür wurde für das Modul ein Leitfaden entworfen, der für die Selbstlernphase zur Verfügung und am dritten Tag der Weiterbildung zu Disposition gestellt wurde.
 

Abb. 5: Forschungsprozess (Quelle: Modul „Forschende Basisbildung“, das kollektiv)

Schritte im partizipativen Forschungsprozess

Ein möglicher Leitfaden

  1. Selbstreflexion und Partizipation: Wer sind wir? (Wie wollen wir zusammenarbeiten? Welches Verständnis haben wir von uns als Gruppe? Wer kann Teil der Gruppe sein oder werden? Wie können wir Raum für alle schaffen, um zu sprechen, sich zu beteiligen, die eigene Rolle zu finden …?)
  2. Beobachtung, Erkundung, Reflexion: Was passiert in unserem Umfeld?
  3. Problem benennen: Was stört uns? Was wollen wir verändern?
  4. Forschungsfrage formulieren: Welche Frage steht im Zentrum? Welche Fragen gehören dazu?
  5. Informationen zusammentragen: Was wissen wir schon darüber?
  6. Planung von Datenerhebung und -analyse/Aktion: Wie können wir vorgehen, um Antworten auf die Frage zu finden? Welche Methoden passen dazu?

Lässt sich überhaupt eine Antwort auf die Frage finden? D.h. ist es möglich für uns, sie zu beantworten? (Wenn nicht: zurück zu Schritt 4: Forschungsfrage neu formulieren)

  1. Co-Forscher_innen und Quellen: Von wem bzw. wo können wir etwas erfahren?
  2. Durchführung der Datenerhebung/Aktion: Welche Antworten gibt es auf unsere Fragen?
  3. Analyse und Interpretation der Daten: Wie können wir verstehen, was passiert ist?
  4. Reflexion: Haben wir Antworten auf unsere Fragen gefunden? Oder fehlen uns noch wichtige Informationen? Dann Rückkopplung: Zurück zu Schritt 6
  5. Zusammenfassung: Was sind die wichtigsten Ergebnisse?
  6. Darstellung und Kommunikation der Ergebnisse: Wie können wir unser Wissen mit anderen teilen/öffentlich machen?
  7. Reflexion: Was hat sich verändert? Was ist daran gelungen? Was überrascht uns daran? Welche neuen Fragen haben wir jetzt?

Anhand dieses Rasters und der mit den Lernenden formulierten Forschungsfragen gestalteten wir den dritten Tag des Moduls. Die Teilnehmer_innen befassten sich mit einer Bandbreite von Methoden und Zugängen partizipativer Forschung und anhand konkreter Beispiele, um Ideen für weitere Abläufe der gemeinsamen Projekte zu entfalten und Reflexionslinien zu entwerfen.

 

4.1. Reflexion über den Ablauf des Moduls „Forschende Basisbildung“

Im Rahmen des Moduls „Forschende Basisbildung“ haben wir mit den teilnehmenden Basisbilder_innen den Forschungsprozess exemplarisch anhand der Forschungsfrage „Welche Erwartungen haben wir Basisbilder_innen an das Modul ‚Forschende Basisbildung‘“ erprobt. Der Schwerpunkt des Moduls lag auf der Vermittlung von methodischem und theoretischem Wissen zu den Fragestellungen der partizipativen Forschung auch anhand von Projektbeispielen. Die Workshopteilnehmer_innen wurden zudem darin unterstützt – siehe z.B. Abb. 5 – im eigenen Unterricht mit den Kursteilnehmer_innen eine Forschungsfrage zu entwickeln.

Im Modul wurde der gesamte Forschungsprozess nachgezeichnet und die Methode der Befragung sowohl quantitativ als auch qualitativ erprobt. Einen Schwerpunkt stellte die Analyse der erhobenen Daten dar. Wir haben uns dafür mit der Grounded Theory und Prozessen der Dateninterpretation auseinandergesetzt (siehe Abb. 6).

Abb. 6: Fragen an den Text stellen (Quelle: Modul „Forschende Basisbildung“, das kollektiv)
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Das Datenmaterial bildete die Transkription der Interviews, die im Rahmen des ersten Teils des Moduls geführt wurden (siehe Abb. 7 und Abb. 8). Ausgehend vom Kodierparadigma in der Grounded Theory (siehe Abb. 9) haben wir Kategorien wie „Überforderung“, „Individualisierung“, „Allein“, „Ressourcenknappheit“, „Solidarität“ etc. herausgearbeitet.

 

Abb. 7: Transkription des Datenmaterials I (Quelle: Modul „Forschende Basisbildung“, das kollektiv)

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Abb. 8: Transkription des Datenmaterials II (Quelle: Modul „Forschende Basisbildung“, das kollektiv)

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Abb. 9: Das Kodierparadigma (Quelle: Modul „Forschende Basisbildung“, das kollektiv)
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Insgesamt bezog sich die Analyse des Datenmaterials auf die Frage der marginalisierten Gruppe der Lernenden in der Basisbildung und die Politisierung der Lehrenden durch ihr „Alltagswissen“ über die gesellschaftlichen Verhältnisse und die gefühlte Eigenverantwortung. Damit ging es nicht nur um den kritischen Blick auf die aktuelle Migrationspolitik und antimigrantische Öffentlichkeit, sondern auch um die Verortung der eigenen Subjektivität in einer hegemonialen Wissenskultur, die ausschließt.

Partizipative Aktionsforschung eignet sich für marginalisierte soziale Gruppen. Auch im Feminismus wurde deutlich, dass Aktionsforschung Ressourcen in Form von neuen Subjektivierungen schafft: „It can be understood as research which results in social change in a dynamic way, and in both practical developments and new understandings/‘theory’ Which are evolved through action and reflexive practice. These progressive aspects of participatory action research chime strongly with feminist approaches and the empowerment of women.” (Hague/Thiara/Turner 2011: 553) Die feministische Kritik schaffte damit Raum für eine theoriegeleitete selbstreflexive Relevanz: In den letzten 30 Jahren verzeichnete die feministische Forschung eine große Anzahl von Aktionsforschungsprojekten (Reid/Frisby 2007) mit dem Anliegen, „representative, meaningful, and liberatory“ (Frisby/Maguire/Reid 2009: 14) Beiträge in den intersections of oppression zu leisten.[4] Trotzdem: auch wenn die feministische Forschung darauf abzielt, die Lebensbedingungen für Frauen zu verbessern, zeigten kritische Bewegungen in der feministischen Wissensproduktion die Ausschlüsse auf.[5] (vgl. Gouma 2017: 222)

Partizipative Forschung ist zudem ein Konzept, das die Kämpfe der Migration in den Blick nimmt. Sie korrenspondiert so mit den Anliegen der Autonomie der Migration (Bojadžijev/Karakayali 2007), die Migration als eine soziale Bewegung versteht: „Pedagogy of emancipation and empowerment is endorsed, a pedagogy that encourages struggles for autonomy, cultural well-being, cooperation, and collective responsibility. (Denzin 2010: 304) Sie stellt trotzdem eine Herausforderung dar: “This kind of self-reflexive participatory approach moves us closer to ‘truth’, but also transforms academic research into critical interventions in social, political and cultural life, with social change as the final outcome.” (Bosch 2011: 29)
 

[4] Problematisiert wird jedoch bei den Autorinnen, dass das Verbinden von lokalem Wissen mit den aktuellen theoretischen Konzepten im der feministischen Theorie nicht so vorangeschritten ist, wie erwartet.

[5] Migrantinnen schließen damit an die Anliegen und die Kritik der Schwarzen Feministinnen an, die seit den 1970er Jahren Positionen abseits eines „weißen“ Feminismus verteidigen. Sie haben die Ausschlüsse, die ein Mehrheitsfeminismus produziert, aufgezeigt: Die Überschneidungen und Verstrickungen mit rassistischen Verhältnissen, Imperialismen und sozioökonomischer Macht blieben im westlichen Feminismus unberücksichtigt. Die davon betroffenen Frauen waren in der feministischen Strategie, Theoriebildung und Wissensproduktion unsichtbar.

 

4.2. Kritik an partizipativen Zugängen

 

Der Abschluss des Moduls „Forschende Basisbildung“ widmete sich unter anderem der Kritik an dem partizipativen Konzept.

Partizipative Forschung ist kein „Rezept“, sie ist auch kein „Heilmittel“ für soziale Veränderung. Die aktuellen Debatten und kritischen Anmerkungen zu Aktionsforschung fokussieren vor allem auf die Bedeutung und Umsetzung des Begriffs „Partizipation“. Dabei geht es nicht um eine Ablehnung des partizipativen Charakters der Aktionsforschung, sondern um eine geopolitische Verortung der Bedeutung von Partizipation in ungleichen Machtverhältnissen. (Gouma 2017: 126)

Anlass zu Kritik gibt inzwischen der Umstand, dass allein die Verwendung des Wortes „Partizipation“ genügt, um eine besondere Legitimation für die Interessen der Akteur_innen zu verschaffen. (Shah/Guijt 1998; Cornwall 1998) Einher geht diese Kritik mit dem Vorwurf des Paternalismus in Projekten, wo über „Partizipation“ nicht reflektiert wird. Bill Cooke und Uma Kothari (2001) gehen davon aus, dass viele Projekte im Bereich der Aktionsforschung „in the name of participation mask realities of tokenism, reinforce social hierarchies, emphasize consensus, and reproduce the dominant hegemonic agenda […]. (Cahill 2007: 269) Die Rede ist oft von „kosmetischer Partizipation“, die die Reflexion über hegemoniale Bedingungen der Wissensproduktion entweder ausschließt oder die Bedingungen als selbstverständlich erachtet.

Das partizipative Konzept wird aus zwei Richtungen kritisiert. Einerseits geht es um die Rhetorik der Partizipation in der neoliberalen Ära. Andererseits werden Zugänge kritisiert, wo Partizipation als Feigenblatt für paternalistische Anliegen vorgeschoben wird. (vgl. Gouma 2017) Innerhalb der Kritik wird Partizipation nicht als Dekolonisierungsinstrument, sondern als Teil der Biopolitik (Foucault 1993; Lemke 2008) verstanden: Als eine Möglichkeit Subjektivitäten zu regieren bzw. sich selbst als solche regieren zu lassen. Partizipation wird in der Biopolitik als ein politischer Wert konzipiert, um sicherzustellen, dass wir mit dem eigenen Handeln nicht zu einer radikalen Veränderung der Verhältnisse, sondern zu systemkonformen Korrekturen beitragen. Die Kritik bezieht sich damit auf die Disziplinierungsmechanismen gegenüber der Rolle der „Teilnehmer_innen“ innerhalb von Interventionen oder Forschungsprozessen als Teil der Technologien des Regierens, während Entscheidungsprozesse darüber weiter hinausreichen als in einem Projekt erfassbar sind. Das soziale Script für die Figur der „Teilnehmer_innen“ in partizipativen Aktionen beschreibt Mike Kesby (2005: 2042): „Within the bounds of a project, participants must learn to constitute themselves as equal to their peers, as part of a collective, and as self-policing agents engaged in a rolling process of critical self-analysis.“ Was passiert also mit Menschen, die diese skills nicht performen können oder wollen, oder jenen die diese Bühne meiden?

Cooke und Kothari (2001) deuten an, dass der Begriff „Partizipation“ an sich einen besonderen Zeitwert für die Legitimation von unterschiedlichen Vorhaben innehat und damit unterschiedliche Rechtfertigungsrhetoriken bedient:

Weshalb partizipative Forschung Machtverhältnisse nicht unbedingt zugunsten von marginalisierten Gruppen verändert, sondern sie häufig bestärkt. Ihre Kritik geht damit viel tiefer als der Verdacht, dass die Praktiken und Theorie der partizipativen Forschung missbraucht werden, um Interessen zu verdecken. Es geht den Autor_innen nicht nur und die „seichte“ Anwendung partizipativer Forschung, sondern vielmehr darum, dass Partizipation selbst eine Macht an sich darstellt und damit stets Machtverhältnisse reproduziert. (Gouma 2017: 127)

Die Kritik an der partizipativen Methode leistet eine grundsätzliche und nachvollziehbare Dekonstruktion und lässt sich ebenso auf die Programatik kritischer Pädagogik übertragen. Denn eine zentrale Frage im Kontext einer kritischen Bildungsarbeit in der Migrationsgesellschaft ist diejenige nach den Bedingungen der Gestaltung einer wechselseitigen und dialogischen pädagogischen Praxis unter dem Zeichen der Asymmetrie, da es sich um ein pädagogisches Verhältnis zwischen Akteur_innen, die in ungleichen gesellschaftlichen Machtpositionen sind, handelt. Gleichzeitig gibt es keine Zweifel, dass Partizipation eine unerlässliche Frage für die Basisbildung ist: Wie gehen wir mit marginalisierten sozialen Gruppen um, wie gehen wir mit Widerständen um? Mike Kesby (2005) fragt, ob Partizipation eine Machtform ist, die bekämpft werden soll. Er stimmt der formulierten Kritik in vielen Punkten zu, kritisiert jedoch die antipartizipatorischen Schlussfolgerungen. Er befürwortet eine Stärkung der partizipativen Forschung als wesentliche Methode für sinnvolle und radikale Interventionen. Was könnte sonst Sinn ergeben, als partizipativen Strukturen auf mehreren Ebenen, selbstreflexive Prozesse und kritische Fragestellungen zu unterstützen?

Für feministische und postkoloniale Wissensarbeiter_innen (Collins 2000; hooks 1994; Harding 1993; hooks 1990; Spivak 1992; Spivak/Harasym 1990) sind diese Fragestellungen zentral. Seitens der Militanten Untersuchungen in der Migrationsforschung argumentiert beispielsweise Nicholas De Genova (2013) folgendermaßen: Aufgrund der Komplexität unserer Themen gibt es kein theoretisches oder wissenschaftliches Handeln außerhalb der sozialen Bedingungen, die Ungleichheiten reproduzieren: „It is obviously insufficient to seek consolation in the complacencies of a ‚militant‘ posture or a dogmatic activistic allegiance.” (ebd.: 252)

 

4.3. Macht, (Selbst-)Ermächtigung und Paternalismus

Im Zusammenhang mit partizipativer Forschung wird häufig der Begriff der „Ermächtigung“ verwendet. Was bedeutet aber „Ermächtigung“ bzw. „Macht“? Im Gegensatz zur kritischen Theorie – Adorno und Horkheimer – gehen Foucault und Arendt davon aus, dass „Macht“ im Sinne von „Ermächtigung“ etwas Positives ist, das den AkteurInnen ermöglicht, Verhältnisse zu verändern. (Gouma 2017) Das positive Machtkonzept bei Hannah Arendt (1981/1959: 251-263) ergibt sich durch die grundlegende Unterscheidung zwischen Macht und Gewalt. Die Kämpfe um Macht bezeichnet sie als „Agon“. Im öffentlichen Raum unterscheidet Arendt zwischen Agon und kommunikativer Macht, die es ermöglicht, gemeinsame Entscheidungen herbeizuführen, auch unter dem Umstand, dass andere Positionen überstimmt werden. Der Agon wird jedoch zu Gewalt, wenn durch mehrheitliche Entscheidungen die Existenz der anderen vernichtet werden. Ähnlich wie Arendt argumentiert auch Michel Foucault (1983): „Die Macht ist nicht etwas, was man erwirbt, wegnimmt, teilt, was man bewahrt oder verliert; die Macht ist etwas, was sich von unzähligen Punkten aus und im Spiel ungleicher und beweglicher Beziehungen vollzieht.“ (ebd.: 115) Foucault sieht in der „Macht“ ein produktives Nezt, das den ganzen sozialen Körper überzieht. (vgl. Foucault 1978: 35) Der Grund weshalb „Macht“ so produktiv ist – sie produziert Diskurse, Wissen, Lust, Dinge – ist, dass sie nicht nur repressiv ist. Foucault (ebd.) unterscheidet zwischen verschiedenen Formen von Macht bzw. von Machttechniken: „Diese Form von Macht wird unmittelbar im Alltagsleben spürbar, welches das Individuum in Kategorien einteilt, ihm seine Individualität aufprägt, es an seine Identität fesselt, ihm ein Gesetz der Wahrheit auferlegt, das es anerkennen muss und das andere in ihm anerkennen müssen.“ (Foucault 1999: 166)

In seiner Auseinandersetzung mit der Kritik an partizipativer Forschung bzw. an den hegemonialen Inhalten von Partizipation, argumentiert Mike Kesby (2005) mit dem positiven Begriff der Macht von Foucault. „Participatory approaches aspire to reduce and circumvent the power relations normally involved in research and development and to take the notion of giving the marginalized a voice to new levels by facilitating their involvement in the design, implementation, and outcomes of programs.” (ebd.: 2037) Gleichzeitig zeigt er Grenzen der Kritik auf: „Certainly Foucault […] was right to suggest that ‚everything is dangerous‘ and that even emanicipatory discourses are systems of power with the capacity to dominate, but it is important to recognize that some things are more dangerous than others.“ (ebd.: 2043)

Die Frage, ob „Ermächtigung” in partizipativen Projekten trotz der migrationspolitischen Bedingungen, der akademischen Strukturen usw. denkbar ist, steht trotz der Anleitungen zum Handeln durch positive Machtkonzepte weiterhin zu Diskussion. Peter Miller und Nicholas Rose (2008) gehen davon aus, “that these new forms of economic governance and citizenship have created space for new, more subtle forms of professional governance and expertise through the use of empowerment.”(ebd. 2008: 93, H.i.O.) Aus diesem Grund schlagen sie vor, genau darauf einzugehen, was im Rahmen der Forschung „Ermächtigung“ bedeutet. Norman Denzin sieht als Bedingung der Ermächtigung in Forschungsprojekten, dass die Teilnehmer_innen den Forschungsprozess „besitzen“: „Pedagogy of emancipation and empowerment is endorsed, a pedagogy that encourages struggles for autonomy, cultural well-being, cooperation, and collective responsibility. This pedagogy demands that indigenous groups own the research process.” (Denzin 2010: 304) Patricia Hill Collins (1998) kommt zu dem Schluss, dass die Verbindung kritischer Pädagogik mit emanzipativen Anliegen bedeutet, dass die Menschen die Realität über das eigene Leben erfahren. Gergana Mineva und Rubia Salgado (2015) fragen indes: „Wer ist wie legitimiert, wen zu ermächtigen?“ (ebd.: 245) Die Ermächtigungsansprüche im DaZ-Feld in Österreich bezeichnen sie als ein Highlight der Inszenierung des Widerstands. Ihre Kritik bezieht sich darauf, dass „Ermächtigung“ Ohnmacht voraussetzt, was wiederum auf eine paternalistische Haltung der „ermächtigenden“ Akteur_innen rekurriert. Sie sind skeptisch, was den Umgang mit Ermächtigung oder Selbstermächtigung betrifft: „Können die Forderung nach und die Förderung von Selbstermächtigung und Ermächtigung einer liberal-paternalistischen Logik dienen? Ist der Anspruch auf Transformation von Individuen oder sozialer Ungerechtigkeit erfüllt, wenn Ermächtigung oder Selbstermächtigung die Integration der Einzelnen in die dominanten Verhältnisse bewirkt?“ (maiz 2014)

5. Conclusio

Die partizipative Forschung ist für die Basisbildung aus unterschiedlichen Perspektiven relevant, weil damit unterschiedliche Prozesse der Mitwirkung, der kritischen Wissensproduktion und der (Selbst-)
Reflexion methodisch/situativ begleitet werden. Wie gelingt es mit partizipativer Forschung, einen emanzipativen Weg zu gehen, anstatt Menschen regierbar zu machen? Das Modul „Forschende Bildung“ hat aufgezeigt, dass partizipative Projekte als Methode in der Basisbildung auf großes Interesse stoßen. Sie zeigen einen Weg für eine „andere“ Wissensproduktion im Unterricht, die, trotz der strukturellen Zwänge und neben Prozessen der Selbstreflexion und des „Verlernens“, Lust am selbstorganisierten Forschen hervorbringt.

Selbstreflexive Forschung baut darauf auf, sich auf eine Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Machtpositionen der Akteur_innen einzulassen (Klinger 2007), und versucht gleichzeitig zu verlernen, was Generationen kolonialen Denkens hinterlassen haben. (Bishop 1998) Das Konzept des Verlernens (Spivak 2012) ermöglicht, „Normalität“ zu hinterfragen. Es geht um die Bemühung, Differenz außerhalb des kolonialen Denkens zu denken. Gelingt es im Forschungsprozess eine gesellschaftskritische Perspektive in Zusammenhang mit den Lebensverhältnissen in der Migrationsgesellschaft zu entwickeln bzw. zu stützen? Wie kann epistemische Gewalt im Sinne der Normalisierung von Ungleichheiten gemieden werden? Partizipative Projekte sind von solchen Fragestellungen nicht befreit, sondern bieten einen Rahmen, um diese Fragen intensiver zu behandeln, trotz der Widersprüche in denen wir leben, handeln und denken müssen. (Castro Varela/Dhawan 2005)

Darüber hinaus soll die Gegenwart widerständiger Handlungen anhand der Rekonstruktion historischer Prozesse der emanzipatorischen Veränderung von gesellschaftlichen Verhältnissen sowie der Analyse der Bedingungen, unter denen solche Prozesse stattgefunden haben, entworfen werden. Ebenso sollen lokale Bedingungen zur Entstehung einer widerständigen Praxis im Zwischenraum Basisbildung mit Migrant_innen und Aktionsforschung berücksichtigt werden, denn diese verändern wiederum unsere Praktiken wie auch unsere Konzepte einer widerständigen Projekt- und Forschungspraxis: Soziale Bewegungen und Allianzen sind für das Verständnis einer kritischen Wissensproduktion als Widerstand zentral. Eine Reihe von Organisationen, Aktivist_innen und Wissenschafter_innen vernetzen sich, um kritische Perspektiven zu entwickeln und mit Praktiken in die Lebensrealitäten zu intervenieren.

 

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